Der vedische Astrologe hatte mich ja gewarnt.
Obwohl ich meine Checkliste für Südindien bis aufs letzte akkribisch abgearbeitet hatte und pünktlich, wohlgelaunt und bestmöglich vorbereitet meine Reise nach Tiruvannamalai antrete, gibt es wohl kein Entrinnen vor dem angekündigten holprigen Start in meine zweite Reise ins Mekka eines jeden Yogalehrers.
Als ich früh vom Hansaring in Köln mit der S11 Richtung Flughafen Düsseldorf aufbreche, übermannt mich plötzlich die Gewissheit, den Pincode meiner Kreditkarte vergessen zu haben. Ich hatte ihn seit meiner Reise in den Norden Indiens vor 6 Wochen nicht mehr verwendet und ganz offenbar wurde während der Zeit des seicht und geregelt im Yoga Vidya Center Köln dahintreibenden spirituellen Lebens diese Information vollständig aus mein Gedächtnis gespült. Damit konnte nun wirklich niemand rechnen. Unzählige Male lieferte mein Geist zuvor im Himalaja zuverlässig die Zahlenkombination zu meiner Reisekasse, die sich auch bei dieser Reise auf dem kleinen Stück Plastik befinden würde. Nun, vielleicht fällt sie mir ja noch ein, gräme ich mich nicht weiter und notiere mir mehrere 4-stellige Zahlenfolgen, die mir vertraut vorkommen in meinem elektronischen Gedächtnis, das mir ein weitaus verlässlicherer Partner ist als mein eigenes.
Vier gewinnt
13 Stunden später: Treffen mit Petra, Checkin in Düsseldorf, 4 Sicherheitskontrollen, Transfer mit der nicht zu unrecht in den Himmel gelobten Airline Emirates, mitternächtlicher Cheescake und Xxl-Donat in Dubai, die Bewältigung zahlreicher Einreiseformalitäten und das Einsammeln unseres Gepäcks liegen erfolgreich hinter uns. Petra und ich rollen mit vollbepacktem Wagen durch den modernen Airport Bangalore Richtung Geldautomat.
Die Stunde der Wahrheit, ich zücke meinen elektronischen Notizblock und tippe die erste Zahlenkombination ein – in meinem Kopf ertönte das scharrende Signal des Zonks – “Lieber Kunde, leider stimmt die Pin nicht…” Mist! Auch nach dem langen Flug ist die Kenntnis der 4 Zahlen nicht in mein Bewusstsein zurückgekehrt. ZOOONK!!! Auch Versuch Nummer zwei ist ein Griff ins Klo. ZOOONK!!! “Ihre Karte wurde gesperrt, bitte wenden Sie sich an ihr Kreditinstitut.” Ich hatte mich schon darauf eingestellt, wohl meine EC-Karte einsetzen zu müssen. Niemals würde ich, ohne mich abzusichern, eine solche Reise ans andere Ende der Welt antreten. Ich krame nicht allzu nervös in meiner Geldbörse herum, irgend etwas ist darin anders.
Wo ist eigentlich meine EC-Karte?
Jedenfalls nicht dort, wo sie sein sollte. Ich lasse meine Hände eilig durch die zahlreichen Taschen meiner Weste, ein Mitbringsel aus Rishikesh, wandern, durch die der Jeans, des Hoodys… nichts. Fuck! Morgens am Hansaring am Fahrkartenautomaten hatte ich sie noch, un den Fahrbeleg bekommt man erst, wenn man die Karte wieder an sich genommen hat. Ich schau ins Portemonnaie, der Fahrbeleg ist noch da wo ich ihn hingesteckt hatte. Nur das Kärtchen fehlte. Ich durchsuche nochmals alle Taschen, entleere sie, nichts. Puls und Herzschlag erhöhen sich etwas. Mein Plan B hat sich offenbar irgendwann zwischen Hansaring und Bangalore von mir verabschiedet. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie mir bei einer der zahlreichen Sicherheitskontrollen aus der Börse gerutscht ist, keine Ahnung, jedenfalls bekommen ich jetzt auch so nicht an die Freiheit stiftenden Rupien. Ich hatte am Paketband zuvor 200€ in Bar in Rupien zum überteuerten Airport-Tarif getauscht, so dass ich fürs erste nicht völlig aufgeschmissen sein würde, aber ich würde jetzt einiges in Bewegung setzen müssen, damit das finanzielle Fundament meiner 10-wöchigen Indienreise wieder ins Reine käme.
Petra habe ich vor zwei Jahren zu Beginn meine Yogalehrerausbildung in Köln kennengelernt. Sie war mit einer kleinen Verzögerung zu unserer dreißig Köpfe zählende Klasse von angehenden Yogalehrern gestoßen, beschäftigte sich schon lange mit Yoga, war Vegetarierin, vielgereist und eine kleine und mutige Weltverbesserin. Während der Ausbildung freundeten wir uns an, und ich bin sehr froh, dass wir gemeinsam reisen.
Petra ist Zeugin meiner vergeblichen Suche nach Zahlen und Plastikkärtchen und versucht ihr bestes, mich zu unterstützen. Als Ishvara, die Kraft, die Gesetze und die Intelligenz, welche den gesamten Kosmos in Harmonie halten, offenbart, dass er es für eine gute Idee hält, am Anfang unserer Reise meine Wachsamkeit etwas aufzurütteln, lächelt sie mich beruhigend an und meint, es wird schon irgendwie gehen. Ja das wird es, denke ich mir, und ärgere mich trotzdem ein wenig, über diesen ungeplanten Schlenker.
Hallo Taxi?
Wir ziehen bereits das zweite Mal mit unserem Wagen an den Taxifahrern mit den Schildern in der Hand vorbei, entdecken aber kein Schild, dass den Namen Klehn zeigt. Okay, so langsam schwindet meine Freude. Mit Graus erinnere ich mich an die Ankunft am Flughafen Neu Delhi, wo ich mit einem der Abzockertaxen vom Flughafen aufgebrochen war. Ich hatte diesmal ein Taxi beim Hotel beauftragt, aber, welch eine Überraschung, es war nicht da. Zu allem Unglück versagt auch mein kleiner neu erworbener mobiler Wifi-Adapter seinen Dienst, so dass ich jetzt ohne Internet, ohne funktionierende Kreditkarte, ohne EC-Karte und ohne Plan wie wir nun ins 200km entfernte Tiruvannamalai kommen sollen vor dem Airport, in den wir auch nicht mehr hineinkommen würden. Petra lächelt immer noch. Ich wundere mich ein wenig. Ist das Naivität oder Gleichmut? Sie lädt mich erst einmal auf ein Getränk ein, eine Cola? Ja eine Cola. Ich muss meine Gedanken sortieren, ich brauche einen neuen Plan, was machen wir jetzt… ich atme tief ein und gerade als ich meinen Denkapparat anschmeißen will, kommt ein Typ in einem lotterigen, schmutzigen weißen Outfit an meinen Wagen, hält mir einen Zettel unter die Nase. “Tiruvannamalai?” Ja Baby! Tiruvannamalai! Woher weiß er das denn? Auf dem Zettel steht in krakeliger Schrift der Name TomE – das soll wohl ich sein. Juhu, unser Taxifahrer hat uns gefunden. Ich hatte dem Hotel ein Foto von mir und meinem Gepäck geschickt, nur um sicher zu gehen, für den Fahrer, DIESER Plan ist aufgegangen. Danke Ishvara! Petra stößt mit einer kleinen Dose Cola in der Hand dazu und lächelt immer noch.
Die 6-stündige Fahrt geht über gut geteerte Straßen, oft sogar mit 100km/h. Während bunte Menschen, Häuser und Tempel auf der Leinwand der Taxifenster an uns vorbeiziehen, tauchen wir langsam und erschöpft ein, in die bunte, roterdige, warme Welt Südindiens.