Den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmtheit muss uns niemand eingeben. Schon als einjähriges Kind hast Du Deinen Willen mit Händen und Füßen verteidigt.
Woher kommt unser Freiheitsdrang?
Dieser Drang scheint uns inne zuwohnen. Was ist seine Ursache, seine Herkunft? Was ist die Quelle unseres permanenten Strebens nach Freiheit und Befreiung? Warum gilt uns die Freiheit als so hohes Gut?
Niemand strebt nicht nach Freiheit.
Tatsächlich tun wir nichts anderes im Leben. Wir essen, um uns von Hunger zu befreien, wir schlafen, um uns von Müdigkeit zu befreien, wir gehen Beziehungen ein, um uns von Einsamkeit zu befreien, wir lernen, um uns von Unkenntnis zu befreien, wir streben nach Macht, um uns von Ohnmacht zu befreien, wir streben nach Besitz, Vermögen und Bestätigung, um uns von der Unsicherheit des ständigen Wandels im Leben zu befreien. Wir sind ständig und endlos damit beschäftigt, einen friedvollen, befreiten Zustand zu erreichen. Ist das ein aussichtsloses Unterfangen?
Was ist der Kern unseres Freiheitsstrebens?
Wann sind wir frei? Sind wir erst frei, wenn wir Freiheit empfinden? Oder sind wir vielleicht frei, obwohl wir uns unfrei fühlen? In welchen Momenten fühlen wir uns frei? In Momenten des Glücks, der Losgelöstheit von Zwang, Leid und Unwohlsein? Wenn kein vermeintlicher Mangel unsere Aufmerksamkeit trübt? Wenn nichts die Wahrnehmbarkeit unserer friedvollen Existenz stört? Was zieht uns in diesen Zustand, in die Sehnsucht nach der ungestörten, friedvollen Existenz? Ein Zustand, unseres Verstandes, den wir so hartnäckig wie aussichtslos versuchen, in der Welt des ständigen Wandels zu schaffen und zu halten? Worauf steuern wir zu, in unserem Freiheitsstreben?
Hauptsache anders?
Im Teenageralter glauben wir, frei zu sein bedeute, anders zu sein. Wir wissen nicht noch wer wir sind, aber wir wollen oft genau das nicht sein, was andere sind, zum Beispiel unsere Eltern, Geschwister, Lehrer.
Doch macht es uns frei, anders zu sein? Ist nicht das Gegenteil der Fall? Die vermeintliche Freiheit ist doch nichts anderes als die Abhängigkeit von dem, das wir verneinen. Der andere ist blau, deshalb kann ich nicht blau sein, ich muss grün sein, um frei zu sein!
Freiheit = Einzigartigkeit?
Anders und besonders sein Wollen, als Mittel zur Befreiung? Vermutlich eine Sackgasse! Aber warum streben wir nach Einzigartigkeit in unserer Art zu Leben, zu denken, zu handeln? Kann eine Einzigartigkeit in uns die Triebfeder zur Schaffung einer Einzigartigkeit unserer Person im Außen sein?
Ist Freiheit eine Einstellung aufgrund von Wissen?
Der Drang, uns zu befreien, scheint mit dem Verständnis und dem Gefühl der eigenen Identität verbunden zu sein. Er wirkt umso intensiver, je mehr wir mit der Begrenztheit der Welt und unserer Person als Teil dieser identifiziert sind, dem Mangel, der Unvollständigkeit. Bei der vollständigen Identifikation mit unserer von außen sichtbaren und beschreibbaren Person, mit den im Verlauf unseres Lebens zusammengetragenen Fähigkeiten, Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen lassen wir vielleicht den ursprünglichen und wahrhaften Kern unserer Existenz aus der Gleichung und betrachten ein unvollständiges Bild. Wenn wir im Leben auf der Suche nach Freiheit oder Befreiung sind, fehlt in unserer Selbstbetrachtung vielleicht ein substanzieller Teil. Vielleicht ist er unerreichbar für das was unseren Verstand peinigt, uns bewegt oder ängstigt, begrenzt, fehlerhaft, unvollständig und getrennt oder besonders erscheinen lässt. Dieser autonome, geschützte, beständige und unveränderliche Teil könnte die Ursache sein für unseren Drang nach Befreiung im Menschsein. Vielleicht ist dieser Teil sogar unser eigenes, eigentliches Selbst, der oft beschriebene Schatz, der in uns liegt, und mehr noch – uns ausmacht. Alles an uns, das vergänglich und dem Wandel, der Dreiheit von Entstehung, begrenzten Existenz und der Auflösung unterworfenen ist, wären Teile dessen, das selbst frei von all dem ist. Unsere über das Menschsein hinausgehende und unserem Menschsein zugrunde liegende Qualität, unstörbarer, unveränderlicher, ewiger, vollkommener und simpler Existenz und Bewusstheit. Das sind die einzigen Qualitäten, die in unserem Leben des permanenten Wandels unveränderlich bleiben. Und das, was unveränderlich ist, kann man als wahrer als das ansehen was wir sind, als das, was sich ständig ändert, wie unsere Überzeugungen oder Meinungen, Geschmäcker, Erfahrungen, unser Körper, unsere Gedanken und so weiter. Wenn dieser Schatz, der wir sind, den Maßstab und das Idealbild bilden, das wir versuchen, in der Welt des Wandels zu etablieren und zu verankern, kann das nur in die Hose gehen, es sei denn, wir verefügen über Unterscheidungskraft und das Wissen über unsere wahre Natur und das Verständnis, dass eine wirkliche Befreiung für die Person in der Welt nicht zu erreichen ist, aber dass sie der Kern unseres wahren Selbst bereits ist und immer war.
Wir setzen aufs falsche Pferd!
Erweitern wir also unser Selbstbild. Sehen wir hin. Wir können das Menschsein nicht befrieden, wenn wir nicht sehen und verstehen, was unserem Menschsein zugrunde liegt. Wir können im Außen nicht herbeiführen, was wir im Innern verleugnen. Der erweiterte Blick nach innen kann den Blick nach außen befrieden und uns tatsächlich befreien. Nehmen wir den vollkommenen, ewigen Teil unseres Selbst in die Gleichung, kann uns das mit der manchmal beunruhigenden Unbeständigkeit in der Welt und unserer Person versöhnen, oder ihr zumindest den Schrecken nehmen. Ein vollständiges Selbst-Bild befreit uns von der vermeintlichen Gefangenschaft als begrenzte Person in einer begrenzten Welt voller Erwartungen an uns. Das ist der Lohn der Selbsterforschung, der Erforschung des Selbst, welcher sich die Rishis in Indien vor tausenden Jahren bereits ausgiebig gewidmet haben und das dabei zutage geförderte Wissen bis heute in der Wissenschaft Vedanta an uns weitergegeben haben. Wissenschaft, weil es Wissen schafft.
Befreit ein vollständiges Selbstbild?
Ja und nein. Wir können uns nicht befreien, weil wir bereits frei sind, aber wir sehen und fühlen es oft anders. Wir halten oder fühlen uns klein, begrenzt, schwach und abgeschnitten, als Opfer der Umstände. Sehen wir uns reduziert auf die Begrenztheit unserer Person, unserer Sinne, des Körpers, Geistes, Intellektes, unseres Lebenslaufes oder unseres Bankkontos, sehen wir nicht weit genug und können uns die Frage stellen:
Wer sind wir wirklich?
Verstand kommt von verstehen, und es gibt etwas Essentielles über uns zu verstehen, das uns kein Lehrer in der westlichen Schule beigebracht hat – unsere Freiheit war niemals beeinträchtigt, sie ist unantastbar. Der Glaube, begrenzt und gefangen zu sein, zeigt, dass wir nicht (an)erkennen können oder wollen, worauf die permanent in uns brennende Sehnsucht nach Freiheit hindeutet, nämlich unser freies und nicht zu begrenzendes, erstes und eigentliches Selbst, die Ursache und Essenz unserer begrenzten und abhängigen Person.
Aber was ist dieses erste oder eigentliche weil permanente Selbst? Was macht uns essentiell aus? Was ist der Teil an uns, auf den wir bauen können, der stabil und verlässlich ist, der sich niemals ändert, der also wahr, wahrhaftig ist?
Was sind wir immer?
Existenz und Bewusstsein zeigen in die richtige Richtung! Beide Qualitäten verändern sich zeit unseres Lebens niemals. Was ist Existenz und wie viele Existenzen gibt es? Advaita Vedanta lehrt, es gibt eine Existenz, das übergeordnete Prinzip in der Welt und unzählige Ausdrucksformen seiner. Und diese Ausdrucksformen werden von Bewusstheit bezeugt. Es gibt nur eine Bewusstheit, hinter vielen Augen.
Wir alle teilen ein und dieselbe Bewusstheit und Existenz, und wir sind diese auch, jedenfalls mehr als die Personen Max, Paul oder Jessica. Es fällt schwer, das auszusprechen oder anzunehmen. Wir nehmen jede noch so flüchtige Ausdrucksform unserer Existenz und unseres Bewusstseins gern als unser Ich an: Ich bin müde, ich bin durstig, ich bin hungrig, ich bin zielstrebig, ich bin ein Deutscher, ich bin ein Lehrer, ich bin ein Musiker, ich bin ein Autofahrer, ich bin eine Mutter, ich bin ich bin ich bin…. Wechselnde Eigenschaften und Formen unserer Bewusstheit und Existenz, die allesamt vergänglich sind, kommen und gehen und die wir uns dennoch gern und bereitwillig als Label um den Hals hängen, uns selbst zu definieren.
Aber ich bin Bewusstheit, oder ich bin Existenz will uns nur schwer über die Lippen gehen, obwohl es die einzigen beiden Zustände sind, die wir immer und permanent sind, ob wach, im Traum oder im Tiefschlaf. Aber dieser Umstand widerspricht dem oft so tief in uns verwurzelten Glauben, klein und begrenzt zu sein. Nur das macht es uns so schwer, zu glauben, dass wir bereits frei sind, und schickt uns auf die vergebliche Suche nach Glück und Freiheit in der Welt.
Wir sind selbst auch freie Bewusstheit und freie Existenz, die große und simple, alles umfassende und hervorbringende Existenz und Bewusstheit, in jedem Moment unseres Lebens als Mensch und darüber hinaus. So weit können wir sehen und aus unserer Erfahrung schlussfolgern. Diese Bewusstheit und Existenz ist frei von allen kommenden und gehenden Objekten in der Welt, selbst von unserer vergänglichen Person oder unserem begrenzten Verständnis. Deshalb muss vermutlich an irgend einem Punkt auf der Suche nach Verständnis Verstehen durch Vertrauen abgelöst werden.
Kein Kind mehr!
Unser Körper, unsere Erfahrungen und Fähigkeiten, unser Wissen und unsere Überzeugungen haben sich verändert und verändern sich weiter. Wir sagen, ich bin nicht mehr der oder die ich einmal war. Das ist Ausdruck der eignen Identifikation mit dem Vergänglichen, dem Wechselhaften, widerspiegelt die unvollständige Sicht auf das eigene Selbst und verursacht erst den Drang, sich davon zu befreien, weil es eben nicht unserer wahren Natur entspricht. Wir sind auch und mehr noch das, was sich eben nicht ändert, was immer gleich bleibt. Wir sind auch das, was die Wahrnehmung der Veränderungen und Entwicklung unserer Person und der Welt erst ermöglicht. Existenz und Bewusstheit selbst.
Ohne Existenz bezeugt Bewusstheit nichts!
Auch Nichts ist Etwas und existiert. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir im Tiefschlaf nichts wahrnehmen. Bewusstheit existiert. Bewusstheit und Existenz sind untrennbar mit einander verwoben. Was auch immer sich in unserem Leben ändert, wir bleiben uns unserer Existenz bewusst, in der begrenzten Ausdrucksform als Person, die den Gesetzen des Geborenwerdens, Existierens und der Auflösung unterworfen ist, aber auch als die Ursache für all die vergänglichen Objekte der vergänglichen Welt, die in unserer Unvergänglichkeit ruht.
Absolute Freiheit von Werden, Sein und Tod
Werden, Sein und Vergehen sind Prinzipien in uns, Bewusstsein und Existenz. Und jede Person ist in Bewusstheit und Existenz eingebettet und untrennbar damit verbunden, was jede Person, jedes Wesen mit jedem anderen verbindet. Das ist Yoga – Verbundenheit, die immer besteht. Vielleicht streben wir deshalb seit unserer Kindheit nach Freiheit in einer begrenzten Welt, weil wir tief in uns wissen, dass jede Abhängigkeit eine sich auflösende Illusion ist. Das höchste und unantastbare Prinzip, das Absolute, die erste und einzige Ursache von allem, ist ein und dasselbe wie die Essenz und die wahre Natur eines jeden Wesens innerhalb und außerhalb der Welt. Alles andere ist Theater, sind verschiedene Filme, die die weiße Leinwand auf der sie ablaufen nur scheinbar aber niemals wirklich beeinträchtigen können. Die Leinwand ist immer frei von Beeinträchtigung durch den Film. Wir sind die Leinwand und der Film.
Befreiung ist eine Illusion, Freiheit unsere Natur!