SÜDINDIEN – TAG 56 – GURU WANTED!
SÜDINDIEN – TAG 56 – GURU WANTED!

SÜDINDIEN – TAG 56 – GURU WANTED!

Allein, Allein…

Meine Reisebegleiterin und Freundin Petra hatte ich vor einigen Tagen nach Bangalore begleitet. Sie ist von dort wieder ins kalte Deutschland und sicher direkt in die Arme ihres sehnsüchtig wartenden Freundes geflogen. Die gemeinsame Zeit mit ihr ist zum Ende hin richtig gerast. Wenn man Spaß hat und in angenehmer Gesellschaft ist, vergeht die Zeit scheinbar doppelt so schnell. Meine neue Mitbewohnerin ist Sita, die musikalische Katze!

Mir bleiben noch zwei Wochen Sonne und Zeit, mein zehnwöchiges Experiment “Klarheit durch Abwesenheit” erfolgreich zu beenden.

Bangalore

Bangalore

Bangalore war eine interessante Erfahrung. Es gibt sie wirklich, die großen westlichen Malls, in Bangalore zumindest. Alles was mein Herz nicht begehrt gibt es dort, jede Marke, die man auch in deutschen Einkaufspalästen findet. Abends auf der Straße und dem Heimweg vom Pizza-Hut ins Hotel wurde mir ungefragt erst von einem Taxifahrer und dann von einer zwielichtigen Gestalt mit gesenkter Stimme und verschwörerischem Blick, die plötzlich dicht neben mir lief, der kostenlose Transfer zu schönen Ladies angeboten. Hallo? Sehe ich etwa so bedürftig aus!?

 Was das Herz begehrt

Was mein Herz begehrt ist das Besondere, kein mir auf der Straße hinterhergeworfener fragwürdiger Dienst am Manne. Und ich bin in Bangalore fündig geworden, am nächsten Tag und in einem etwas angestaubten Etablissement. Das nicht ganz billige Vergnügen konnte ich immerhin mit Kreditkarte bezahlen. Das Objekt der Begierde versprach zahllose Stunden der Freude und mindestens der Zweisamkeit. Mein neues, blondes, handliches, flachlegbares BINA-Harmonium war endlich zu mir gekommen.

Harmonium

 Im Ramana-Ashram

Während ich nun zurück in Tiruvannamalai im Ashram still um den Samadhi von Ramana Maharshi laufe, denke ich an die Email, die mir Sundari heute morgen geschickt hatte. Sundari ist die wunderbar strahlende Frau an der Seite des von mir verehrten Lehrers James Swartz. Ich hatte sie während des Workshops und während eines Interviews zum Thema “Nondual Relationships” hier in Tiruvannamalai persönlich kennengelernt. Sie schrieb mir heute, dass sie mich als coole, sattvige Person schätze, die alles gelassen annähme, was Ishvara ihr geben würde…

James und Sundari

Es ist nicht schwer, hier in Indien als Westler gelassen zu sein und anzunehmen, was man bekommt. Die Highlights des heutigen Tages waren zum Beispiel:

 Ein ganz normaler Tag in Indien

  1. Ausschlafen
  2. eine Stunde Harmonium spielen und singen
  3. Pancakes machen
  4. die Katze füttern
  5. auf dem Roller zur Post fahren
  6. merken, dass Sonntag ist und die Post geschlossen hat
  7. ins Internetcafe fahren, um festzustellen, dass das Internet zu langsam ist, um irgendetwas zu machen
  8. zu einer Kunstausstellung in einen Park fahren
  9. drei Bilder vom Arunachala für knapp 10€ kaufen
  10. einen Tee trinken
  11. dabei nett mit einem amerikanischen Künstler-Pärchen darüber plaudern, dass man zu den Westlern an diesem Ort schnell einen Draht findet, weil alle dasselbe lieben
  12. drei Bücher von ihrem Verschenktisch abstauben
  13. dabei die äußerst attraktive Franziska aus Deutschland kennenlernen, die ebenfalls ihre Yogalehrerausbildung bei Yoga Vidya im Westerwald gemacht hat
  14. ihr meine Karte in die Hand drücken und wieder nach Hause fahren
  15. eine Stunde Harmonium spielen und singen
  16. ein paar Sonnengrüße machen
  17. Bratkartoffeln mit Sauren Gurken zubereiten, dabei versehentlich auf die Katze treten, die sich die ganze Zeit quengelnd um meine Beine geschlängelt hatte
  18. meine indische Haushälterin und zwei zufällig vorbeikommende deutsche Mädels mit “German Bratkartoffeln” überrschen
  19. zum Nachtisch süße Pancakes reichen
  20. an Franziska denken
  21. eine weitere Session am Harmonium
  22. in den Ramana-Ashram fahren, um hier nun in meiner gestern frisch erworbenen und vom Schneider gegenüber sogleich für nur 24 Cent gekürzten langen schwarzen Hose meine Runden um die golden glänzende Statue des selbstverwirklichten lokalen Helden zu drehen.

Puh, was für eine Hektik!

Ich habe inzwischen bereits meine dritte Runde um das Symbol des Selbst beendet und streife das Feuer des Pujaris über mich, tauche meine Zeige-, Mittel- und Ringfinger in die Asche auf dem goldenen Tablett und zeichne damit drei parallele Linien auf meine Stirn, zwischen die Augenbrauen noch einen roten Punkt gesetzt, der für das Bewusstsein und Wissen steht, welches die drei Körper (Physicher Körper, Geistiger Körper, Kausalkörper) dominiert, sie letztlich auflöst, was durch die drei Aschestreifen symbolisiert wird. Ich steuere einen zentralen Platz vor dem Schrein an, vor mir sitzen Männer und Frauen, die etwas rezitieren. Die neue indische Hose ermöglicht es mir, ohne Probleme, im kreuzbeinigen Sitz auf dem Momorboden Platz zu nehmen, ein guter Kauf! Ich schließe die Augen und lausche dem monotonen und hypnotischen Klang der Stimmen vor mir.

Arunachalabild

 Die Uhr tickt

Wie sattvig (klar, ruhig, in Harmonie, gelassen, weise) wird mein Geist wohl sein, wenn ich mich wieder zurück ins Uhrwerk Deutschland begebe? Wenn wieder Verpflichtungen an mir zerren, Routinen mich vereinnahmen und zahlreiche, unterhaltsam bunte und verführerische Vergnüglichkeiten von allen Seiten her auf mich einwirken werden. Deutschland ist ein Fluss mit einer anderen Strömung, zumindest der Teil in dem ich bisher geschwommen bin. Ist es das wirklich? Vielleicht ist es nicht Deutschland, das anders ist. Vielleicht ist einfach die Rolle, die ich dort einnehme, eine andere. Als reicher Ausländer, zum Beispiel als Inder, mit den Taschen voller Euros lässt sich sicher auch in Deutschland gut in den Tag hineinleben. Wenn der Inder dann irgendwann wieder nachhause müsste, würde er vielleicht auch sagen, ach, in Deutschland lebt es sich so frei… Für mich ist Deutschland das Zuhause, der Ort für meinen Alltag, ein Alltag, der gestaltet sein will, und genau das ist grad’ ein Problem.

Das Erste woran ich denke, wenn ich an Alltag denke, ist die Frage, wo nehme ich demnächst eigentlich so das Geld für meinen Lebensunterhalt her? Es widerstrebt mir so sehr, mich mit dieser Frage auseinandersetzen zu müssen, aber der Blick auf mein Konto sagt mir, dass es so langsam Zeit dafür wird. Worauf wäre ich nicht alles bereit zu verzichten, für noch etwas mehr Freiheit vom Uhrwerk? Gibt es das, mehr Freiheit, ein bisschen Freiheit? Ich glaube nicht.

Freiheit bedeutet nicht, tun zu können was man will, sondern nicht das tun zu müssen, was man nicht will.

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Was ist Zuhause?

Ich muss wieder an Atman Shanti denken, die seit Jahren als Lebens-Künstlerin und Yogalehrerin in ihrem Auto durch Deutschland tingelt und sich nach einem festen Zuhause zu sehnen scheint. Zuhause ist grad’ kein fester Ort für mich. Ich nenne das Apartment in dem ich hier wohne mein Zuhause. Das Zuhause war in Deutschland für mich bisher immer der größte Kostenfaktor. Während ich zuletzt in der Durchgangsstation Hannover noch eine 98qm Wohnung bewohnte, habe ich in Köln meinen über die Jahre sorgsam angehäuften Hausstand immerhin schon so weit reduziert, dass er auf nur noch 40qm passt. Eine sehr schöne kleine Wohnung habe ich da in Köln. Meine Versicherungen habe alle auf das Minimum runtergefahren oder gekündigt… Ich denke wieder an den vedischen Astrologen, der mir sagte, dass Aszendent Waage Menschen wie erfahrene Kaufleute genau wüssten, wie sie erreichen könnte was sie wollen. Das stimmt, das war auch bei mir immer so, aber was will ich jetzt und demnächst? Die Lieferung dieser Erkenntnis könnte nun wirklich so mal langsam vor meinem geistigen Auge erscheinen.

Am falschen Ort?

Was will ich? Was kann ich? Was sollte ich wollen? James Swartz der Vedantalehrer sagte in seinem Workshop hier, von in der Stille sitzen kommt nichts, man muss schon seinen Denkapparat benutzen, wenn man Erkenntnis will. Trotzdem zieht es mich grad’ stark an ruhige, abgeschiedene, meditative Orte wie diese kühle Halle am Fuße des heiligen Berges Arunachala. Ist das eine Art, die Decke über den Kopf ziehen? Ich sehe Dich nicht und deshalb siehst Du mich auch nicht, Du grässliches heimatliches Uhrwerk? Na vielleicht hilft es ja.

Ramana Ahram

Ich bereue es, keine Sitzgelegenheit mitgebracht zu haben. Auf dem harten Boden ist es nicht besonders bequem, und ohne Meditationskissen hängt mein linkes Knie etwas in der Luft. Über mir drehen sich die Ventilatoren und bringen frische Luft nach unten. Als ich die Augen öffne, kommt grad eine Familie auf mich zu, die sich ebenfalls setzen will. Die werden doch jetzt wohl nicht meinen 1A Zentralblick auf Ramana verbauen wollen, registriere ich amüsiert einen egoistischen Gedanken. Neben mir gestikuliert ein Mann und die Familie teilt sich plötzlich auf. Vater und Sohn nehmen links vor mir Platz, Mutter und Tochter rechts. Ich blicke mich um und merke, dass ich mitten in einem Korridor sitze, der offenbar die Männer von den Frauen in dieser Halle trennt. Ich erinnere mich daran, dass hier in den Ashrams hin und wieder die Geschlechter getrennt werden. Auch die vor mir chantenden Männer und Frauen sitzen separiert. Es ist mir etwas peinlich, dass ich mich so ignorant in die Mitte gepflanzt habe und rutsche langsam nach links in die Reihe. Ordnung muss sein, auch in Indien.

 Hallo Echo?

Ich weiß, dass sich alles fügen wird, aber so ein klitzekleiner Hinweis, ein Denkanstoß? Nicht möglich? Hm? Natürlich nicht. Okay, rollen wir das Feld weiter von hinten auf.

Ich will, dass es meinem Jiva (meiner Person) gut geht, weil ich glücklich bin und nicht weil ich glücklich werden will. Was mag mein Jiva? Nun ja, das ändert sich im Laufe der Zeit, aber so grundsätzlich?

Mein Jiva mag es zum Beispiel, täglich warm zu duschen und abwechslungsreich zu essen. Mein Jiva mag Musik und Musizieren. Mein Jiva mag es, zu verstehen und zu erkennen was passiert und was ihm wichtig ist und braucht deshalb auch geistige Nahrung. Mein Jiva mag Nähe und die Gesellschaft netter anderer Jivas. Mein Jiva mag es für sich zu sein. Ja, da haben wir doch schon mal ein paar Zutaten. Da braucht der Intellekt meines Jivas ja nur noch ein leckeres Gericht daraus zu kochen.

Alles nur Show

Ich fühle mich bei diesen Gedanken, wie ein altgedienter, klassisch journalistisch mit allen Wassern gewaschener Moderatoren-Haudegen, der in einem generalüberholten Hip-TV-Channel vor einer Glitzerwand für Teenis die Prominews vorlesen soll. Hat mein Jiva Lust auf so etwas? Offenbar nicht. Und schwupps ist man wieder in der Identifikation mit der Abneigung. Aaaaarrrggggg…..

Ich zücke mein Handy und nehme ein paar Strophen des Gesangs vor mir auf.

Seit ich aus Nordindien zurück bin, sprudeln nur so die Ideen für schöne Kirtans aus mir raus. Niemand muss mich dazu antreiben, mich damit zu beschäftigen. Alles deutet darauf hin, dass ich Musik tatsächlich liebe.

Ich stecke das Handy wieder weg, stehe langsam auf, zwinkere innerlich noch einmal zu Ramana hinüber und verlasse die Meditationshalle.

Ich weiß, dass ich bald gezwungen sein werde, zu handeln. Egal wie ich handeln werde, es wird entsprechende Konsequenzen haben. Welche Handlungen bescheren mir die oben genannten Konsequenzen?

 Sevaka sein, Glück allein?

Als Sevaka bei Yoga Vidya zum Beispiel kann ich zwischen 6:00 und 22:00 Uhr warm duschen, es gibt megaleckeres, gesundes und abwechslungsreiches Essen, es gibt die Gesellschaft ausgesprochen netter und liebenswürdiger Jivas zu genießen, es gibt die Möglichkeit, die Liebe und Leidenschaft für Musik zu teilen und meinen Geist mit dem unerschöpflichen Wissen alter aber aktueller Lehren zu füttern und mich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen.

Während ich das schreibe sehne ich mich zurück nach Köln ins Yogacenter zu Devaki, Vedamurti und Datti.

In einem Yoga-Center wie dem in Köln oder einem Ashram zu leben ist ein Fulltimejob. Neben dem Dienst und etwas eigener Praxis bleibt kaum Luft für anderes. Luft wofür? Ich befürchte dort ein wenig wie in einem wohligen Kokon auf der Stelle zu treten. Aber wo will ich denn hin? Ich will nicht nur ein Jahr überbrücken, ich will wissen wo die Reise im Großen hingehen soll für meinen Jiva.

Warum liebe ich eigentlich Musik? Musik lässt mich zuhause sein, egal wo ich bin. Ist sie also bloß ein Mittel, ein Instrument für meine eigentliche Suche nach Geborgenheit? Irgendwie bin ich heute im Frage- und Hinterfragemodus, und ich habe das Gefühl, damit nicht weiterzukommen.

 Guru Wanted!

Wie sehr wünschte ich mir jetzt einen Lehrer, einen Guru, der kurz in meine Seele blickt, in die Welt und in die Zeit und mir einfach sagt, was demnächst verdammt nochmal mein Job in dieser Welt sein soll. Vermutlich disqualifiziert mich allein dieser Gedanke grad’ aus sämtlichen Guru-Adoptiv-Programmen. Hilfe!!!! Ich brauche Hilfe!!! Hallo, jemand da!?

 Bye Bye Sattva!

Tja, offenbar genügen schon einfache Gedanken an das was auf mich in meiner Heimat wartet, meinen Geist aus seinem sattvigen und klaren Zustand zu bringen. Das schöne ist, dass sich dies nicht auf meinen gesamten Körper ausbreitet, sondern dort bleibt, wo es hingehört, im Verstand. Die Magengegend ist immer noch gelassen. Mal sehen wie lange noch.

One Night in Tiru

Unter bunt angeleuchteten Bäumen und vom Feuer angeheizt wiegen sich einige Frauen sinnlich zu lateinamerikanischen Rhythmen. Ich bin noch einmal zu dem Park von heute Nachmittag gefahren. Am Abend sollte dort ein Konzert stattfinden, und vielleicht würde ich dort ja auch noch jemanden vom Nachmittag wiedertreffen. Ich schaue mir das Treiben an und versuche die Atmosphäre in mir aufzusaugen. Ich fühle mich hier genau so wenig fremd, als wäre ich in Deutschland in irgend einer Stadt auf irgend einer Depeche Mode Party oder auf einem AND ONE Konzert. Da kenne ich vielleicht auch niemanden, aber ich fühle mich trotzdem zuhause.

Ich bin ein weinig enttäuscht, dass ich ein bestimmtes Gesicht unter den Anwesenden nicht ausmachen kann und beobachte ein junges Paar. Die beiden sind damit beschäftigt, quadratische Stoffstücke über ihren Köpfen in die Luft zu werfen, zum Drehen zu bringen und auf ihren ausgestreckten Fingern immer wieder hoch hüpfen zu lassen. Die beiden sind aus meiner Perspektive ein ausgesprochen schönes und stimmiges Paar, vielleicht etwas rastlos. Sie springt ans Feuer und beginnt auf einer Trommel herumzuklopfen, und er hangelt wie von einer Tarantel gestochen einen sich unter seiner Last zum Boden neigenden Baum hoch. Ich muss lachen. Kurze Zeit später verschwinden die beiden. Der Altersdurchschnitt hier steigt damit beträchtlich und ich mache mich ebenfalls auf den Weg ins traute temporäre Heim.

Warum fühle ich mich hier so fern der Heimat so unglaublich wohl?

Vielleicht ist es, was ich gerade in dem Buch dieses zotteligen Gurus lese, den ich vor einigen Tagen hier bei einem Satsang erlebt hatte:

Guru-Books

“Wir haben eine Sehnsucht danach, uns von unseren Rollen zu befreien. Unsere Rollen sind unser Gefängnis. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind, geben unsere Rollen uns eine Identität. Aber es ist eine falsche, begrenzte und begrenzende Identität. Das spüren wir, deshalb brauchen wir Pausen von dieser falschen Realität. Wir gehen nach Indien wo uns niemand kennt und genießen dort das Niemandsein.”

Was ich lese macht für mich Sinn und die Worte haben eine erstaunlich beruhigende Wirkung auf meinen Geist. Das Buch ist von Sri Vast, dem Guru, dessen Treiben kritisch von meinem Kollegen aus Deutschland in seinem Buch “Roadtrip mit Guru” beschrieben wurde.

Im Englischen kann man unsere wahre Identität gut mit dem Wort “Nothing” beschreiben. Das meint aber nicht nichts. Wir sind nicht nichts. Aber wir sind auch nicht etwas, weil es zu jedem etwas auch etwas anderes gibt, aber nicht zu uns. Wenn man nothing es als No -Thing liest – kein Ding, beschreibt das, wir sind kein Ding. Wir sind nicht zu definieren (zu begrenzen) durch ein Konzept. Wir sind nicht unsere selbstgewählten oder aufgezwungenen Rollen. Wir sind kein Mann, keine Frau, all diese Identitäten begrenzen uns in unserer Vorstellung. Aber wir sind nicht zu begrenzen. Wir sind grenzenlos.

Dilemma

Wie können wir unsere Unbegrenztheit, unsere Endlosigkeit und Freiheit in einer begrenzten Welt leben, die uns scheinbar begrenzt?

Indem wir frei von Konzepten leben, frei von Identifikationen? Jede Identifikation, selbst die eine erleuchtete Person zu sein, eine selbstverwirklichte Person. Wenn ich erkenne, dass nichts in der Welt die Kraft hat, mich zu binden, bin ich frei, in der Welt zu agieren, wie immer es mir gefällt, oder? Die Frage “was soll ich tun (mit meiner Freiheit)?” kann ich mir also damit beantworten, was immer Du willst, aber vergiss nicht wer Du wirklich bist.

All unser Streben und unsere Handlungen sind darauf ausgerichtet, Fehler zu beheben, einen Missstand zu beseitigen, uns zu korrigieren und zu verbessern. Diese Bestrebung ist auf falschen Identifikationen begründet. Nimm das Gewicht aus Deinen Entscheidungen, in dem Wissen, dass jede Entscheidung und jede Konsequenz daraus lediglich in Dir erscheinen wird und von Dir bezeugt werden wird, dass sie aber niemals Dich selbst verändern wird. Du bist der unveränderliche Beobachter aller Veränderungen in Dir und in der Welt, die ebenfalls Du ist.

Zweimal dieselbe Frage

Es gibt also zwei Motivationen, die Frage, “Was soll ich tun?” zu stellen.

Erstens:

Aus dem Gefühl der Unvollkommenheit heraus mit dem Zweck, sich vollständig zu fühlen.

 Zweitens:

Aus dem Gefühl der Vollständigkeit und des Glückes heraus.

Ich sollte mich also fragen, WARUM frage ich und WIE frage ich? Frage ich ergebnisorientiert oder frage ich losgelöst von den Ergebnissen? Frage ich ergebnisorientiert, bin ich ein Gefangener, weil ich begründet befürchten muss, dass sich das gewünschte Ergebnis nicht einstellen wird. Ich bin dann ein Sklave meiner Handlungen und meiner Erwartungen.

Wenn ich mich davon befreien will, benötige ich kurioser Weise zunächst ebenfalls eine Handlung. Es ist ein Dorn, der den Dorn (falsche Identifikation) entfernt. Ich bekämpfe Feuer mit Feuer. Die Handlung ist das Ergründen der wahren Natur der Welt und der eigenen Person. Das Hinterfragen und das Unterscheiden des Realen vom scheinbar Realen. Erlangung und Anwendung des Wissens um das Selbst ist die Handlung, die mich von allen Handlungen befreien kann, vom selbst projizierten Zwang, zu Handeln, weil scheinbar etwas fehlt.

Unser Geist, unsere Prägung und unsere Muster sind stark in unserer Psyche verankert. Sie haben die Tendenz, sich selbst zu bestätigen durch fortwährende Wiederholung von Bekanntem und Ablehnung von Unbekanntem.

SADHANA – Medizin für den Geist

Wann immer unser Geist zweifelt, kann die Präsenz selbstrealisierter Menschen oder ihrer Worte helfen, uns daran zu erinnern, was wahr und was nur scheinbar wahr ist.

Wir können uns in unseren Routinen Freiräume schaffen, Ankerpunkte, die uns ermöglichen, uns mit dem Wissen um das Selbst zu beschäftigen, Satsangs zu besuchen, ein Mantra zu chanten, Hatha-Yoga zu praktizieren, ein Buch zu lesen. Dies alles sind Übungen für unseren Geist, Ankerpunkte, Lichtungen, die darauf verweisen, wer wir tatsächlich sind. Wir sind nicht der Meditierende, der Yogi, der Chanter oder der Lesende! Das wäre nur eine weitere Identifikation, die wir versucht wären, anzunehmen. Wir benutzen diese Techniken als Dorn, der den Dorn entfernt, bis es nicht mehr nötig ist, unseren Geist daran zu erinnern, wer wir wirklich sind.

Was ich also tun soll, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin, kann ich davon abhängig machen, was ich an meiner Person beobachte. Wie frage ich? Was ist meine Motivation? Dann kann ich entscheiden, was zu tun ist. Braucht mein Geist Training, dass er mich in Ruhe und friedlich sein lässt, egal was ich bezeuge? Dann sollte ich ihn vielleicht trainieren. Ich muss es nicht. Das Training und die Veränderung meines Geistes ändert nichts an meiner wahren Identität. Aber es qualifiziert unseren Geist, aus der Perspektive seiner wahren Herkunft und Identität heraus wahrzunehmen, zu unterscheiden und zu entscheiden.

 Hari OM, TOM